Barrierefreiheit nach dem novellierten Personenbeförderungsgesetz (PBefG).

Inhalt

Definition „Vollständige Barriere­freiheit im öffentlichen Personen­nah­verkehr“ zum novellierten Personen­beförderungs­gesetz (PBefG)

Einführung

Mit der Novellierung des PBefG erweitert der Gesetzgeber die Verpflichtung der Aufgabenträger und Anbieter zu einer verstärkten Berücksichtigung der Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen. Gemäß PBefG § 8 Förderung der Verkehrsbedienung und Ausgleich der Verkehrsinteressen im öffentlichen Personennahverkehr, Absatz 3 definieren die Aufgabenträger die Anforderungen an Umfang und Qualität des Verkehrsangebotes in der Regel in einem Nahverkehrsplan:

Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. (…) Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Gemäß PBefG § 12 (1) 1.c) soll (1):

Der Antrag auf Erteilung der Genehmigung (soll) enthalten
1. in allen Fällen
(…)
c) eine Darstellung der Maßnahmen zur Erreichung der möglichst weitreichenden barrierefreien Nutzung des beantragten Verkehrs entsprechend den Aussagen im Nahverkehrsplan (§ 8 Abs. 3 Satz 3),
(…).

Gemäß PBefG § 13 (2.a) gilt weiter:

Im öffentlichen Personennahverkehr kann die Genehmigung versagt werden, wenn der beantragte Verkehr mit einem Nahverkehrsplan im Sinne des § 8 Absatz 3 nicht in Einklang steht. (…)
Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der beantragte und in seinen Bestandteilen verbindlich zugesicherte Verkehr mindestens dem bisherigen Verkehrsangebot entspricht und darüber hinaus von den in der Vorabbekanntmachung beschriebenen weitergehenden Anforderungen zur Sicherstellung der ausreichenden Verkehrsbedienung nur unwesentlich abweicht. Als wesentlich gelten grundsätzlich Abweichungen von Anforderungen zu Linienweg und Haltestellen, zu Bedienungshäufigkeit und Bedienungszeitraum, zur Abstimmung der Fahrpläne und zur Barrierefreiheit.

Gemäß PBefG § 62 Übergangsbestimmungen Abs. 2 gilt:

Soweit dies nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unumgänglich ist, können die Länder den in § 8 Absatz 3 Satz 3 genannten Zeitpunkt abweichend festlegen sowie Ausnahmetatbestände bestimmen, die eine Einschränkung der Barrierefreiheit rechtfertigen.

Damit fordert das Gesetz „die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“. Die Formulierung „in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen“ nutzt nicht den Begriff der Behinderung und ist damit nicht eng auf Menschen mit Behinderungen einzugrenzen. Gleichwohl sind Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen (z. B. Menschen mit körperlichen Behinderungen, blinde und sehbehinderte Menschen, hörbehinderte Menschen oder Menschen mit geistiger Behinderung, aber auch ältere Menschen) in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkt und damit in der Formulierung enthalten. Die Berücksichtigung der Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen zielt auf ein Design für Alle mit Erleichterungen für alle Nutzer des ÖPNV.

Die Berücksichtigung soll mit dem Ziel erfolgen, bis zum 1. Januar 2022 für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Vor dem Hintergrund des PBefG und der in Deutschland gültigen Gesetze (z.B. (z.B. BGG, BGG-NRW, UN-BRK) wird im Folgenden der Begriff der „vollständigen Barrierefreiheit“ definiert.

I. Definition

Barrierefreiheit ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen. Der Zugang und die Nutzung müssen für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich sein; hierbei ist die Nutzung persönlicher Hilfsmittel zulässig. Zu den gestalteten Lebens­bereichen gehören insbesondere bauliche und sonstige Anlagen, die Verkehrs­infra­struktur, Beförderungsmittel im Personen­nah­verkehr, technische Gebrauchs­gegenstände, Systeme der Informations­verarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen sowie Kommunikations­einrichtungen

(BGG-NRW, Stand Nov. 2014, § 4 Barrierefreiheit).

Vollständige Barrierefreiheit gemäß PBefG ist erreicht, wenn die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit

  • für alle in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen (das heißt auch für alle Behinderungsarten)
  • in allen städtischen und ländlichen Regionen
  • für jede Haltestelle
  • dienst­leistungs­über­greifend
  • in allen Bereichen des ÖSPV-Systems und in allen (baulich) angrenzenden Bereichen
  • unabhängig von der rechtlichen Verantwortlichkeit für diese Bereiche durch Verkehrsbetriebe, Kommunen, Deutsche Bahn oder andere
  • unter Berücksichtigung aller geltenden funktionalen Anforderungen und (soweit vorhanden) Umsetzungs­vorschriften

gegeben ist.

II. Geltungsbereich

Der Geltungsbereich bezieht sich auf die Bereiche, in denen das novellierte Personenbeförderungs­gesetz Gültigkeit hat. Dies sind bei den Verkehrsmitteln U-/Stadt- und Straßenbahnen, Bahnen besonderer Bauart (z. B: Schwebebahn, H-Bahn), und Linienbusse (inkl. O-Busse). Der Eisenbahnverkehr wird von dieser Definition nicht berührt.

Die Definition gilt gleichermaßen für den Bestand und ist bei allen Neubauten und Neuanschaffungen sowie bei jeder umfassender Renovierung/ Sanierung zu berücksichtigen (z.B. im Rahmen von Brandschutzmaßnahmen).

Nicht von dieser Definition umfasst ist die Herstellung bzw. Verbesserung der Barrierefreiheit anderer als der im Punkt I genannten Bereiche. Unter angrenzenden Bereichen sind die Zugänge zu dem ÖSPV-System (Haltestellen, Ein-/Aussteigflächen, Warteflächen) zu verstehen.

Diese Definition gilt für alle Menschen, die in der Lage sind, den öffentlichen Raum selbständig und gezielt ggf. mit Assistenz zu nutzen.

III. Vorgehen bei Nichterfüllung der Anforderungen

Sind Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit nicht wie beschrieben barrierefrei möglich, so sind

  • noch vorliegende Barrieren für alle ÖSPV-Nutzenden eindeutig kenntlich zu machen und die Gründe der Nichterfüllung zu benennen,
  • Alternativlösungen anzugeben (alternative Routen und/oder Fahrten),
  • Gründe für Nichterfüllung der Anforderungen an die Barrierefreiheit regelmäßig zu überprüfen,
  • die vorliegenden Barrieren möglichst schnell, sobald angemessene Vorkehrungen (im Sinne der UN-BRK, Artikel 2) zur Verfügung stehen, zu beseitigen.

IV. Funktionale Anforderungen: Grundprinzipien

Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit aus der Definition des BGG umfassen auch die Bereiche der Kommunikation und Orientierung und sind im Allgemeinen dann gegeben, wenn folgende Grundprinzipien berücksichtigt sind:

  1. Wahrnehmbarkeit

    Alle Informationen, Bedienelemente, Wegeelemente und sonstige Elemente im Geltungsbereich müssen den Benutzern so präsentiert werden, dass diese sie wahrnehmen können. Kommunikation ist dabei so anzulegen, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nicht ausgeschlossen werden.

  2. Bedienbarkeit

    Es müssen Hilfen zur Orientierung und zur Fahrt in und an Haltestellen und auf Wegen sowie in Fahrzeugen gegeben sein. Alle interaktiven Elemente im Geltungsbereich müssen bedienbar und benutzbar sein.

  3. Verständlichkeit und Kommunikation

    Alle Informationen und der Gebrauch von Bedienelementen müssen verständlich sein. Systeme zur Information und Kommunikation sind so anzulegen, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nicht ausgeschlossen werden.

  4. Räumlichkeit

    Stationen und Fahrzeuge im Geltungsbereich (II. dieser Definition) müssen räumlich so gestaltet sein, dass sie grundsätzlich mit unterschiedlichen Hilfsmitteln nutzbar bleiben, bei Wegen muss mindestens auf einem Weg der Zugang zu Haltestelle und Fahrzeug möglich sein.

V. Funktionale Anforderungen: Kriterien zur Erfüllung

Nachfolgend sind den Grundprinzipien der Barrierefreiheit einzelne Kriterien zugeordnet.

Diese Kriterien müssen grundsätzlich erfüllt sein, sofern dies technisch möglich ist und sofern notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen (vgl. UN-BRK 2008, Artikel 2, Begriffsbestimmungen: „angemessene Vorkehrungen“). Der Ausdruck „technisch möglich“ schließt bauliche Möglichkeiten ein.

In der nachfolgenden Auflistung wird ein Hinweis auf Einschränkung durch technische Machbarkeit und durch die Angemessenheit jeweils mit dem Ausdruck „falls möglich“ beschrieben.

(Anmerkung: Einige Kriterien könnten zu weiteren Oberbegriffen zusammengefasst und weiter strukturiert werden. Im Hinblick auf eine möglichst einfach gleichbleibende Strukturierung wurde jedoch auf eine Verschachtelung der Kriterien verzichtet.
Die Reihenfolge der nachfolgenden Aufzählungen stellt keine Rangfolge von Wichtigkeiten dar.)

  1. Kriterien zur Wahrnehmbarkeit

    1. Sichtbar (visuell wahrnehmbar)

      Bedienelemente, Zugänge, Wege, Information und Angaben insbesondere zur Orientierung müssen gut sichtbar (visuell wahrnehmbar) sein.

    2. Sichtbar: kontrastreich

      Informationen, Wegeelemente und Infrastrukturelemente sind bzgl. der Kontraste so zu gestalten, dass die Menschen mit unterschiedlichen sensorischen Einschränkungen sie visuell wahrnehmen und unterscheiden können.

    3. Sichtbar: Erkennbar (erkennbare Größe visueller Informationen)

      Informationen, Navigations- und Orientierungselemente sind bzgl. der Schriftgröße so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen sensorischen Einschränkungen sie visuell wahrnehmen und unterscheiden können.

    4. Sichtbar: ausreichende Beleuchtungsstärke

      Informationen wie zum Beispiel Fahrgastinformationen, Wegeelemente sowie Interaktions- und Kommunikationsbereiche wie zum Beispiel der Ein- und Ausstiegsbereich von Fahrzeugen müssen so ausreichend beleuchtet werden, dass eine gute Farb- und Kontrastwahrnehmung ermöglicht wird.

    5. Sichtbar: blendfrei beleuchtet

      Informationen, Bedienelemente, Wegeelemente und sonstige Elemente müssen so blendfrei beleuchtet werden, dass eine gute Farb- und Kontrastwahrnehmung ermöglicht wird.

    6. Sichtbar: sichtbare Rückmeldung

      Rückmeldungen sind so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen sensorischen Einschränkungen sie visuell wahrnehmen und unterscheiden können.

    7. Hörbar (akustisch wahrnehmbar)

      Alle zur selbständigen Nutzung des ÖSPV notwendigen Informationen müssen auch akustisch wahrnehmbar angeboten werden.
      Akustische Informationen müssen einen angemessenen Schallpegel aufweisen, sich ausreichend von Störgeräuschen abheben und auch mit technischen Hilfsmitteln wahrnehmbar sein.

    8. Hörbar: akustische Rückmeldung

      Insbesondere bei sicherheitsrelevanten Bedienelementen und Interaktionen muss eine akustische Rückmeldung zur Auslösung erfolgen.

    9. Taktil erfassbar

      Wegeführung und alle für die Fahrgäste vorgesehenen Bedienelemente müssen taktil erfassbar sein.

    10. Taktil erfassbar (mit rundem oder ovalen Querschnittsprofil gestaltet)

      Alle taktil erfassbaren Elemente, die zum Halten bzw. Stützen dienen, müssen nach Grundsätzen der Ergonomie mit ovalem oder rundem Querschnittsprofil gestaltet sein.

    11. Zwei-Sinne-Prinzip berücksichtigend

      Das Zwei-Sinne-Prinzip soll die perzeptive Aufnahme von Informationen bei sensorischen Einschränkungen durch gleichzeitige Vermittlung von Informationen für zwei Sinne so sicherstellen, dass die Menschen mit unterschiedlichen sensorischen und sprachlichen Behinderungen nicht ausgeschlossen werden. Das Zwei-Sinne-Prinzip sollte daher für die Nutzung des ÖSPV konsequent angewendet werden, indem wesentliche Informationen und Orientierungshilfen mindestens für zwei der drei Sinne „Hören, Sehen, Tasten“ gegeben werden.

    12. Hilfen zur Wahrnehmbarkeit anbietend

      Falls möglich, sollten technische Hilfen zur Wahrnehmbarkeit angeboten werden. So sind Service- und Verkaufsstellen mit Induktionsschleifen zur Verbesserung der Wahrnehmbarkeit auszustatten.

    13. Gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 1 für elektronische Medien

      Elektronischen Medien sind gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 1 (Wahrnehmbarkeit) zu gestalten.

  2. Kriterien zur Bedienbarkeit

    1. Auffindbar

      Wichtige Servicepunkte und Ziele sowie Bedienelemente müssen (auch für Menschen mit Behinderungen) leicht auffindbar sein.

    2. Leichtgängig auslösbar

      Alle für die Fahrgäste vorgesehenen Bedienelemente müssen mit geringem Kraftaufwand auslösbar sein.

    3. Großflächig gestaltet

      Alle wesentlichen, zur Fahrt notwendigen Bedienelemente sind so großflächig zu gestalten, dass Menschen mit einschränkten Feinmotorik sie auch benutzen können.

    4. Ohne Hilfe bedienbar

      Alle für die Fahrgäste vorgesehenen Bedienelemente sind so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen sensorischen Einschränkungen sie ohne Hilfestellung benutzen können.

    5. Hilfen zur Bedienbarkeit anbietend

      Falls möglich, sollten Hilfen zum Aufstehen und Hilfen zum Stützen angeboten werden.

    6. 2.6. Gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 2 für elektronische Medien

      Elektronische Medien sind gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 2 (Bedienbarkeit) zu gestalten.

  3. Kriterien zur Verständlichkeit und Kommunikation

    1. Leichte und einfache Sprache

      Für Fahrgastinformationen soll Leichte Sprache verwendet werden. Es muss die klarste und einfachste Sprache verwendet werden, die dem Inhalt angemessen ist.

    2. Einfach und verständlich bedienbar

      Alle interaktiven Elemente müssen einfach und verständlich bedienbar sein.

    3. Informationsrelevant

      Das Informationsangebot muss für Fahrgäste mit unterschiedlichen Einschränkungen relevante Inhalte aufweisen (z.B.: Angaben zu barrierefreien Anschlussfahrten, Angaben zur Barrierefreiheit von Haltestellen und Fahrzeugen, Angaben zu Mitnahmeregelungen für Hilfsmittel, Verfügbarkeiten von Aufzügen und Fahrtreppen).

    4. Bildliche Hinweise verwendend

      Zur leichteren Verständlichkeit und Auffindbarkeit bestimmter Elemente sind bildliche Hinweise wie zum Beispiel allgemein verbreitete Symbole zu verwenden.

    5. Vorhersehbar gestaltet

      Wegeführung, Wegweisung und Beschilderung muss verständlich und einheitlich ausgelegt und damit vorhersehbar sein.

    6. Hilfen zur Verständlichkeit und Kommunikation anbietend

      Falls möglich, sollten Hilfen und Maßnahmen zur Erhöhung der Verständlichkeit und Kommunikation angeboten werden (z.B. telefonischer Ansprechpartner, Schulung von Fahrer- bzw. Servicepersonal).

    7. Gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 3 für elektronische Medien

      Elektronischen Medien sind gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 3 (Verständlichkeit) zu gestalten.

  4. Kriterien zur Räumlichkeit

    1. Begehbar

      Wege und Bewegungsflächen sind begehbar zu gestalten.

    2. Befahrbar

      Wege und Bewegungsflächen sind rutschhemmend, eben, erschütterungsarm und befahrbar bzw. berollbar zu gestalten

    3. Befahrbar: neigungsarm

      Wege und Bewegungsflächen sind neigungsarm zu gestalten.

    4. Befahrbar: schwellenlos bzw. stufenlos

      Wege und Bewegungsflächen und Einstiegssituationen sind schwellenlos bzw. stufenlos zu gestalten.

    5. Befahrbar: spaltenlos

      Wege und Bewegungsflächen und Einstiegssituationen sind spaltenlos zu gestalten.

    6. Befahrbar: unterfahrbar

      Alle Einrichtungen sowie Bedienelemente, die nur frontal anfahrbar und bedienbar sind, müssen unterfahrbar sein.

    7. Erreichbar (auch Bedienhöhe)

      Alle für die Fahrgäste vorgesehenen Elemente müssen erreichbar sein.

    8. Ohne Hindernisse gestaltet

      Wege und Bewegungsflächen müssen ohne Hindernisse gestaltet werden und dürfen in ihrer Funktion nicht durch zusätzliche Elemente (z.B. Haltegriffe, Werbeelemente, Rohrleitungen) eingeschränkt werden.

    9. Genügend Bewegungsraum

      Bewegungsraum ist so zu gestalten, dass die Anforderungen von Fahrgästen mit unterschiedlichen Einschränkungen an den freien Bewegungsraum berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere Flächen, die als Rollstuhlstellplatz und Mehrzweckfläche gekennzeichnet sind, aber auch sonstige, die zur Bewegung mit dem Rollstuhl notwendigen Flächen.

    10. Genügend Bewegungsraum: Höhe

      Bewegungsraum ist so zu gestalten, dass die Anforderungen der Fahrgäste mit unterschiedlichen Einschränkungen an die freie Raumhöhe bzw. Montagehöhe der Fahrzeugelemente berücksichtigt werden.

    11. Genügend Bewegungsraum: (Durchgans-)Breite

      Bewegungsraum ist so zu gestalten, dass die Anforderungen der Fahrgäste mit unterschiedlichen Einschränkungen an die freien Durchgangsbreiten berücksichtigt werden.

    12. Genügend Bewegungsraum: Tiefe

      Der Bewegungsraum ist so zu gestalten, dass die Anforderungen der Fahrgäste mit unterschiedlichen Einschränkungen an den freien Bewegungsraum (hier Tiefe) berücksichtigt werden.

    13. Persönliche Assistenz berücksichtigend

      Platzangebot für die Fahrgäste mit Behinderungen muss auch die persönliche Assistenz umfassen und berücksichtigen.

    14. Situationsunabhängig gestaltet

      Räume inklusive deren Ausstattung sind so zu gestalten, dass sie von möglichst allen Fahrgästen möglichst unabhängig von der Nutzung bestimmter technischer Hilfen zuverlässig genutzt werden können.

    15. Hilfen zur Räumlichkeit anbietend (auch Hilfen zur Höhenüberwindung)

      Zur Überwindung von Höhenunterschieden, die auf andere Weise nicht zu nivellieren sind, sind technische Hilfen (wie z.B. Klapprampen) anzubieten.

    16. Gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 4 für elektronische Medien

      Elektronischen Medien sind gemäß BITV-Anlage 1 Prinzip 4 (Robustheit) zu gestalten.

Weiterführende Informationen zu den Mindestanforderungen

Die Mindeststandards für die vollständige Barrierefreiheit gemäß PBefG sind insbesondere dann erreicht, wenn alle in Abschnitt V genannten Kriterien für alle zugeordneten Elemente des öffentlichen Straßenpersonennahverkehr-Systems erfüllt sind.

Hieraus ergeben sich beispielsweise für eine Bushaltestelle folgende Mindestanforderungen an die Barrierefreiheit:

  • Die Kennzeichnung einer Haltestelle sollte visuell kontrastierend und mit einer Schriftgröße geeignet für eine Beobachtungsentfernung von 10 m bei einem Visus von 0,1 erfolgen. Weitere Information über die Haltestelle und zur Orientierung an Haltestellen (z. B. Bus- oder Bahnsteignummern) sollte mit visuell kontrastierender Schrift in angemessener Größe erfolgen.
  • Bushaltestellen sollten beleuchtet werden. Für nicht beleuchtete Straßen sind Ausnahmen zulässig.
  • Bei Bushaltestellen am Gehweg weist ein Auffindestreifen (mit Rippenprofil parallel zum Bord), mit einer Tiefe von mindestens 60 cm, vorzugsweise 90 cm über die gesamte Breite des Gehweges verlegt, auf die Haltestelle hin. Er endet in einem Einstiegsfeld, das die Position für den Einstieg in das Verkehrsmittel markiert.
  • Eine maximale Längsneigung auf Warteflächen von 3% ist einzuhalten, sofern es die topografische Situation zulässt. Beträgt die Längsneigung zwischen 3% und 6% sollten höchstens alle 10 m ebene Bereiche (Neigung < 3%) zum Ausruhen und Abbremsen vorzusehen. Die Querneigung der Wartefläche soll lotrecht zur Gehrichtung nicht mehr als 2% betragen. Eine Querneigung von 2,5% in topografisch ebenen Bereichen ist zulässig.
  • Die Oberflächen von Verkehrsräumen und Warteflächen sollten fest, eben, erschütterungsarm berollbar und rutschhemmend gestaltet werden.
  • Warteflächen von Haltestellen im Verkehrsraum sollten visuell kontrastierend vom Gehbereich gestaltet werden.
  • Der Busbord ist visuell kontrastierend auszuführen, wenn die Einbauhöhe mehr als 20 cm beträgt.
  • Haltestellenkanten sind mit einem taktil und visuell kontrastierenden Leitstreifen im Abstand von mindestens 0,60 m zur Bordkante abzusichern.
  • Wenn ein Wetterschutz vorhanden ist, sollten Sitzplätze vorgesehen werden, die mit einer Rücken- und Armstütze ausgestattet sind. Es sind Aufstellflächen für Rollstuhlnutzer vorzusehen. Vor Informationstafeln sind ausreichende Bewegungsflächen zu berücksichtigen. Transparente Seitenwände sollten visuell kontrastierend markiert werden und die Seitenwände maximal 15 cm über dem Boden enden, damit sie frühzeitig taktil ertastbar sind.
  • Statische Fahrgastinformation ist in einer Höhe von 1,0 m bis 1,6 m anzubringen. Durch eine davor liegende, ausreichende Bewegungsfläche für Rollstuhlnutzer muss sie frei zugänglich sein. Die Fahrgastinformation ist visuell kontrastierend (Leuchtdichte, Farbe), mit geringem Abstand hinter einer Glasscheibe (< 1 cm), spiegelungs- und beschlagfrei, ohne Schattenbildung, mit ausreichender Schriftgröße auszuführen.
  • Werden dynamische Fahrgastinformationen (DFI) angeboten, sind diese visuell kontrastierend (Leuchtdichte, Farbe), mit ausreichender Schriftgröße, spiegelungsfrei, und mit Laufschrift in angemessener Geschwindigkeit anzubieten. Informationen sollen nach dem Zwei-Sinne- Prinzip auch akustisch zur Verfügung gestellt werden. DFI sollen für blinde und sehbehinderte Menschen durch taktile oder akustische Hinweise auffindbar sein.
  • Für Rollstuhlnutzer ist eine fahrzeuggebundene Einstiegshilfe vorzuhalten. Die Rampenneigung darf max. 6% betragen.
  • Der Mindestflächenbedarf für Rollstuhlfahrer für Richtungswechsel und Rangiervorgänge beträgt 150 cm x 150 cm (für Begegnung zweier Rollstuhlfahrer 180 cm x 180 cm). Dies muss auch vor Einbauten und fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen gewährleistet sein.

Dementsprechend sind die jeweiligen Elemente (z. B. eine Bushaltestelle) grundsätzlich unabhängig von einem anderweitig bestehenden Ausbaubedarf möglichst bis zum 1. Januar 2022 anzupassen, um die Barrierefreiheit herzustellen.

Empfehlungen für zeitliche Priorisierungen

Da die Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit mit planerischem Vorlauf und teils erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden ist, sollte eine Anpassung der Einrichtungen mit den nachfolgenden Prioritäten erfolgen.

  • Die barrierefreie Umgestaltung der Haltestellen soll vorrangig in Abhängigkeit von der Zahl der ein- und aussteigenden Personen vollzogen werden, wobei vorzusehen ist, dass möglichst in jedem Ortsteil/Siedlungsbereich mindestens eine Haltestelle jeder Linie bis zum 1. Januar 2022 den Mindestanforderungen genügt.
  • Davon unabhängig sind Haltestellen mit einem besonderen Bedarf sowie an Umsteigepunkten vorrangig barrierefrei zu gestalten.
  • Wenn absehbar ist, dass Einrichtungen aus anderweitigen Gründen baulich verändert werden, sollte die Herstellung der Barrierefreiheit zeitlich auf diese Maßnahme abgestimmt werden.

Ausnahmevorschläge gemäß § 62 Absatz 2 PBefG

§ 62 Absatz 2 PBefG lässt Ausnahmen von der Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit zu. Es werden folgende Ausnahmen vorgeschlagen:

  • Es reicht aus, Bushaltestellen mit einer Bordhöhe von mindestens 16 cm herzustellen, wenn Busse über eine fahrzeuggebundene Einstiegshilfe verfügen und die Steigung der Rampe 12% nicht übersteigt; bei Rampensteigungen über 6% ist bei Bedarf eine Hilfestellung zu leisten.
  • Von Mindest- oder Höchstmaßen darf dann abgewichen werden, wenn aus Gründen der Topografie, wegen fehlender räumlicher Gegebenheiten (z. B. zu schmale Gehwege, Zuwegung) oder aus anderen Gründen ein Ausbau technisch oder rechtlich nicht möglich oder wirtschaftlich unverhältnismäßig ist; in diesen Fällen ist eine weitestgehende Barrierefreiheit herzustellen.
  • Werden Haltestellen im Straßenbahnverkehr sowohl von Hoch- als auch von Niederflurfahrzeugen angefahren, reicht die Einrichtung einer geeigneten Umsteigehaltestelle bzw. Kombihaltestelle in Linienverlauf aus; die übrigen Haltestellen sind jeweils für eine Fahrzeugart barrierefrei zu gestalten.
  • Soweit Haltestellen von Stadt-/Straßenbahnen im Straßenraum liegen und daher eine der Barrierefreiheit entsprechende Bahnsteighöhe nicht ohne erheblichen Aufwand ermöglicht werden kann, kann der Umbau unterbleiben, wenn alternative barrierefreie Fahrtmöglichkeiten bestehen; Einzelheiten sind in den Nahverkehrsplänen zu regeln.
  • Verstärkerfahrten können mit nicht barrierefreien Fahrzeugen durchgeführt werden.
  • Taxibasierte Angebote alternativer Bedienformen im ÖPNV müssen nicht vollständig barrierefrei sein; die Mitnahme von Menschen mit Behinderung soll ermöglicht werden.
  • Die Herstellung des barrierefreien Beratungsplatzes eines Kundencenters kann dann unterbleiben, wenn Aufgabenträger, Verkehrsverbünde oder andere Unternehmen im Bedienungsgebiet des jeweiligen Verkehrsunternehmens über ein barrierefrei ausgebautes Kundencenter verfügen oder anderweitige barrierefreie Angebote zur persönlichen Beratung bestehen.

Die Regelung weiterer Ausnahmen im Einzelfall durch die Aufgabenträger gemäß § 8 Absatz 3 Satz 4 PBefG in ihren Nahverkehrsplänen bleibt unberührt.

Hinweis

Die Definition wurde im Rahmen der Studie „Vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr nach dem novellierten Personenbeförderungsgesetz (PBefG)“ mit Förderung des MBWSV entwickelt.

Durchgeführt wurde die Studie von der Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen e.V. (Stuva), der Agentur Barrierefrei NRW und dem Forschungsinstitut Technologie und Behinderung (FTB) der Evangelischen Stiftung Volmarstein.

Die Definition wurde in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Verbände der öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen, kommunalen Spitzenverbände, Verbände der Menschen mit Behinderung, dem MBWSV, dem MAIS und dem Beauftragten der Belange der Menschen mit Behinderungen NRW beraten. Unterschiedliche Standpunkte bestehen insbesondere zu einzelnen Punkten bei der Formulierung der Mindestanforderungen und Ausnahmetatbestände. Dadurch konnte zu dem Zwischenergebnis kein Einvernehmen erzielt werden. Damit müssen alle Punkte jeweils vor Ort im Zusammenhang mit der Erstellung der Nahverkehrspläne verhandelt werden.

Trotz einer fehlenden Einigung stellen die Definition und auch die formulierten Mindeststandards, Hinweise zu Prioritäten und Ausnahmetatbeständen aus unserer Sicht eine wertvolle Arbeitshilfe für solche Verhandlungen vor Ort dar. Aus diesem Grund haben wir uns zur Veröffentlichung entschlossen.

Verweise

BGG-NRW

Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen - BGG NRW) mit Stand vom 11.11.2014.

UN-BRK

Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35, ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 2008, S. 1419).